Bürgerbegehren soll Krematorium in Kolbermoor verhindern: Widerstand gegen „Leichentourismus“
Foto: Stadt Kolbermoor
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Bürgerbegehren soll Krematorium in Kolbermoor verhindern: Widerstand gegen „Leichentourismus“

Kolbermoor – Ein bürgerlicher Flashmob, ein anonymes Schreiben, ein mögliches Bürgerbegehren: Die Wut über das in Kolbermoor geplante Krematorium im nordwestlichen Teil des Neuen Friedhofs „Am Rothbachl“ befeuert scharfen Protest. Auf einer Demonstration von rund 200 aufgebrachten Anwohnern letzte Woche auf dem angrenzenden Aldi-Parkplatz räumte der Zweite Bürgermeister Dieter Kannengießer (Freie Wähler) zwar ein, für den Stadtrat sei eine Kolbermoorer Feuerbestattungsanlage in zwei bis drei Jahren „denkbar“. Er schränkte aber ein, bislang existierten weder Verträge noch Vorverträge. Nun soll eine städtische „Bürger-Infoveranstaltung“ die Wogen glätten. Dennoch hat die Facebook-Gruppe „Kolbermoor, do san ma dahoam“ die Projektgegner schon in Kenntnis gesetzt, dass die offiziellen Unterschriftenlisten für ein Bürgerbegehren nach der offenen Veranstaltung in verschiedenen Geschäften ausliegen werden.

Anwohner rufen in den Sozialen Netzwerken zum Protest gegen das geplante Krematorium in Kolbermoor auf, in den Briefkästen findet sich ein anonymes Schreiben mit Argumenten gegen die Feuerbestattungsanlage: Einige Gegner zeigen sich besonders einfallsreich, um ihren Standpunkt zu untermauern. Manche verfallen auf Facebook gar in Sarkasmus: „Es lebe der Leichentourismus! Wenn es weiß qualmt, ist Winter!“ Andere Opponenten machen sich vertiefte Gedanken über die Konsequenzen des Projektes für ihre Lebensqualität: Sie stellen sich Kolonnen von Leichenwagen vor, die Sammlung der Leichen aus einem Umkreis von 150 Kilometern, befürchten zusätzliche Lärmbelästigung und penetranten Leichengeruch durch das Einäschern von bis zu 20 Leichen täglich, bangen um ihre Gesundheit durch den Austritt von Schadstoffen bei einem technischen Defekt der Anlage, vermuten eine Wertminderung ihrer Immobilien. Im Raum steht auch die Frage, ob ein Krematorium überhaupt in räumlicher Nähe zur Wohnbebauung, zum Sportplatz und zum Skaterplatz akzeptabel ist. Das in einem anonymen Schreiben an die Anwohner aufgeworfene Bürgerbegehren gegen das Projekt dürfte jedoch eine Herausforderung sein: Bei knapp 18.000 Einwohnern in Kolbermoor, darunter etwa 13.500 Wahlberechtigte, wären dafür neun Prozent oder rund 1215 Unterstützungsunterschriften erforderlich.

Unterdessen haben sich rund ein Dutzend Kolbermoorer bei der involvierten Firma „Feuerbestattung Südostbayern GmbH“ in Traunstein über die Funktionsweise des dortigen Krematoriums informiert. Mitarbeiter Michael Köhnlein freut sich über das Interesse. Vor allem in der Kernzeit von 8 Uhr bis 17 Uhr sei jeder willkommen. Das Bestattungsunternehmen erklärt zudem auf seiner Website, die computergesteuerte Anlage sei mit „innovativer, umweltgerechter Technologie ausgestattet“, erfülle „die höchsten Anforderungen zur Energieeinsparung und Schonung der Umwelt“, sei überdies zertifiziert nach DIN EN ISO 9001 (Qualitätsmanagementsystem) und 14001 (Umweltmanagementsystem) sowie versehen mit dem Gütesiegel vom „Umweltpakt Bayern“ und Mitglied im „Bundesverband Deutscher Bestatter e. V. (BDB)“. Die Traunsteiner Feuerbestattungsanlage werde regelmäßig von unabhängigen Instituten geprüft, ob alle gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden. „Selbst unser neutrales Bestattungsfahrzeug fährt umweltbewusst mit Erdgas“, schreibt die Firma unter feuerbestattung-so.de.

Kloo: „konkretes und überzeugendes Konzept“

Laut Thomas Engmann, Geschäftsführer der „Feuerbestattung Südostbayern“, hat sich die Bestattungskultur in den letzten zwanzig Jahren stark verändert. So sei bundesweit der Anteil der Feuerbestattungen um bis zu 70 Prozent gestiegen, in Kolbermoor habe er 2018 bei 66 Prozent gelegen. Daher sei der Neue Friedhof „Am Rothbachl“ im nordwestlichen Teil unbelegt, der Platz für eine Feuerbestattungsanlage damit vorhanden. Nach den Worten des Ersten Bürgermeisters Peter Kloo (SPD) liegt der Stadt ein „konkretes und überzeugendes Konzept“ für ein Krematorium vor, weshalb im nichtöffentlichen Teil der jüngsten Stadtratssitzung im Mai die Änderung des Bebauungsplanes Nr. 61 „Sport- und Freizeitgelände Am Rothbachl“ beschlossen wurde. Diese Vorgehensweise ärgert die Projektgegner: In dem lancierten anonymen Schreiben kritisieren sie, dass nach der Ablehnung durch die Gemeinden Bad Aibling, Bad Feilnbach und Bruckmühl nun Kolbermoor dem Projekt unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Weg bereitet habe. Kloo hält dem entgegen, die Nichtöffentlichkeit sei erforderlich gewesen wegen der jetzt anstehenden Vorplanungen für entsprechende Vertragsabschlüsse.

Vor Planungsbeginn sollen nun Anlieger und Bürger „informiert und einbezogen“ werden. Die Stadt lädt deshalb zu einer öffentlichen „Bürger-Infoveranstaltung“ ein: am Dienstag, 25. Juni, um 18.30 Uhr im Mareissaal, Rosenheimer Straße 8. Bei dieser „vorgezogenen Bürgerbeteiligung im Verfahren um die Bebauungsplanänderung“ wollen Bürgermeister Kloo sowie Vertreter vom Bauamt und der „Feuerbestattung Südostbayern GmbH“ das Projekt „ausführlich erklären und auf alle Fragen eingehen“, verlautbart die Stadt auf ihrer Website. Christian Poitsch vom Stadtmarketing hofft auf eine sachliche Diskussion und einen behutsamen, würdevollen Umgang mit Glaube, Religion, Sterben, Tod, Trauer und Bestattung. Er begrüßt auch, dass sich Kolbermoorer im Traunsteiner Krematorium informieren, und stellt klar, dass die Stadt auf anonyme Schreiben nicht eingehe. Bis zum Bürgerbegehren sei der Weg lang – seien die Voraussetzungen jedoch erfüllt, werde es durchgeführt. Poitsch kann sich aber vorstellen, dass das Informationsbedürfnis durch die „Bürger-Infoveranstaltung“ schon „gestillt“ werden könnte.

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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