Mit dem geplanten Freihandelsabkommen „Tansatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)“ wollen die USA und die EU die weltgrößte Freihandelszone mit annähernd einer Milliarde Konsumenten schaffen. Der Wegfall von Zöllen und anderen „Handelshemmnissen“ soll für das Wirtschaftswachstum beiderseits des Atlantiks wie ein Katalysator wirken. Verbraucher- und Umweltschützer befürchten jedoch, dass europäische Standards gesenkt werden. Bundestagsabgeordnete erhielten nun erstmal Einsicht in jene Geheimdokumente, die unser Leben verändern sollen.
Handel birgt wirtschaftliche, soziale und kulturelle Chancen und Risiken, weshalb er Regeln benötigt. Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP soll solche Regeln setzen. Die Verhandlungen zwischen den USA und der EU laufen seit Juli 2013. Bisher gab es elf Runden. Bisher liegen über 6.200 Seiten Vertragstext vor. Befürworter und Kritiker sehen dem im Geheimen ausgehandelten Freihandelsabkommen mit unterschiedlichsten Erwartungen entgegen. Welche Vor- und Nachteile sind für Verbraucher und Händler zu erwarten? Welche Folgen kann das Abkommen für die regionale Produktion haben?
Einsicht in den Vertragstext
Nach monatelangem Tauziehen erhielten unlängst erstmals Bundestagsabgeordnete Einsicht in die Verhandlungsdokumente: Im Bundeswirtschaftsministerium durften die Parlamentarier in einem eigens dafür eingerichteten Leseraum die vertraulichen Unterlagen unter strengen Vorgaben zwei Stunden lang lesen. Mobiltelefone mussten abgeben werden, damit keine Fotos von den Dokumenten angefertigt werden konnten. Darüber gesprochen werden darf ebenfalls nicht. Die USA und die EU-Kommission hatten erst nach zahlreichen Protesten eingewilligt, dass sich die Abgeordneten die Unterlagen anschauen durften.
Umwelt- und Verbraucherschützer, Sozialverbände, Gewerkschaften und verschiedene Parteien von den Bündnisgrünen bis zu den PIRATEN hatten aus verschiedenen Gründen immer wieder gegen TTIP opponiert. In München waren bereits Mitte April 2015 rund 20.000 Menschen gegen TTIP auf die Straße gegangen. Zuletzt hatten Mitte Oktober 2015 in Berlin nach Polizeiangaben rund 150.000 Menschen, nach Veranstalterangaben über eine Viertel Million Menschen gegen TTIP demonstriert. Und die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP hatte im Zeitraum von Oktober 2014 bis Oktober 2015 fast 3,3 Millionen Unterschriften gesammelt.
Von jenen Bundestagsabgeordneten, die nun als Erste Einsicht in den Vertragstext nahmen, kamen eher kritische Töne: „Meine Skepsis ist absolut bestätigt worden“, erklärte etwa Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/DIE GRÜNEN nach seinem Studium der Papiere. Die GRÜNE Bärbel Höhn kritisierte schon das Zugeständnis der kurzzeitigen Einsichtnahme als nicht ausreichend, müssten die komplizierten Schriftstücke doch mit Experten diskutiert werden. „Das ist aber aufgrund der Geheimhaltungsvorschriften nicht möglich.“ Der Fraktionsvize von DIE LINKE, Klaus Ernst, sprach nach seinem Besuch im Leseraum gar von einer Farce: „Die vorgelegten handelsrechtlichen Texte sind in Englisch, für drei Abgeordnete stand nur eine Dolmetscherin des Wirtschaftsministeriums zur Verfügung.“
Kontra TTIP
Die grundsätzliche Kritik am Vertragswerk bezieht sich vor allem auf drei Aspekte. Erstens fehlende Transparenz und fehlende demokratische Kontrolle: Statt Parlamenten, die Entscheidungen treffen und später korrigieren können, legen sich Staaten ohne demokratisches Verfahren auf Regeln fest, die sie nicht mehr allein ändern können. Zweitens Investitionsschutz und Schiedsgerichte: Multinationale Firmen können ihnen unliebsame, aber auf demokratischem Weg zustande gekommene staatliche Auflagen anfechten und „Schadensersatz“ geltend machen. Die Schiedsgerichte sind keine unabhängigen Institutionen. Und drittens Aufgabe von Standards: Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte, Datenschutz und Lebensmittel stehen zur Disposition.
Pro TTIP
Wirtschaftsverbänden wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zufolge profitieren hingegen alle Regionen und Berufsgruppen. Laut Ifo-Institut steigen bei einer „tiefen Liberalisierung“ die Reallöhne, eine halbe Million Jobs werden entstehen. Nach Ansicht von US-Regierung und EU-Kommission garantiert der Investorenschutz Rechtssicherheit. Das Einebenen von Regulierungen und Zulassungsverfahren senke den Markteintritt für Unternehmen. Weder würden hohe Verbraucherstandards aufgeweicht, noch Umweltstandards gesenkt. Und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) betont, „zielgenaue Schutzklauseln“ bewahrten etwa Buchpreisbindung und Kulturförderung. Für EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ist TTIP schließlich das „transparenteste Handelsabkommen, das es je weltweit gegeben hat“. Sie erwartet, dass TTIP bis zum Jahresende abgeschlossen wird.
Die Frage der Transparenz hat die TTIP-Verhandlungen allerdings von Anfang an begleitet. Ob die neuerlichen Restriktionen für die Einsichtnahme durch die Volksvertreter mehr Vertrauen in das Vertragswerk zu schaffen vermag, scheint fraglich.
Olaf Konstantin Krueger