„Sozialwahl 2017“ gestartet: „Einmischen, mitreden, mitgestalten!“
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„Sozialwahl 2017“ gestartet: „Einmischen, mitreden, mitgestalten!“

Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) hat am Dienstag den Startschuss für die „Sozialwahl 2017“ gegeben: Nahezu 52 Millionen Renten- und Krankenversicherte erhalten nun per Post Unterlagen zur Wahl der Selbstverwaltungen der gesetzlichen Sozialversicherungen. Wahlberechtigt ist, wer am 1. Januar 2017 das 16. Lebensjahr vollendet hat. Stichtag für die Stimmabgabe ist der 31. Mai und als Wahlurnen fungieren die über 100.000 Briefkästen der Post sowie viele DHL-Stationen. Diese reine Briefwahl ist nach der Bundestagswahl und der Europawahl die drittgrößte Wahl in Deutschland. Doch sie hat auch ein Image- und Legitimationsproblem. Das zeigt nicht nur die niedrige Wahlbeteiligung von etwa 30 Prozent bei der letzten Sozialwahl.

Die Wahl zu den Selbstverwaltungsorganen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger – kurz: Sozialwahl – findet im Turnus von sechs Jahren bei allen Trägern der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Unfallversicherung statt. Die gewählten ehrenamtlichen Vertreter entscheiden beispielsweise über Finanz- und Leistungsfragen oder berufen Vorstände. Das Prinzip lautet: Wer Beiträge einzahlt oder eingezahlt hat, der soll auch mitbestimmen. Für Bundessozialministerin Nahles ist die Sozialwahl deshalb „auf der Welt fast einmalig“. Trotzdem hat 2011 nicht einmal jeder Dritte von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Die Gründe dafür könnten einerseits fehlende Transparenz beim Wahlmechanismus sein, andererseits die geringe politische Unterstützung.

„Unverschämt“ nennt die Bundesbeauftragte für die Sozialwahlen, Rita Pawelski, etwa die Weigerung einiger Kommunen wie München, Nürnberg, Braunschweig, Dresden, Erfurt und Magdeburg, für die Stimmabgabe besonders zu werben, obschon die Wahl vom Gesetzgeber vorgegeben sei. Pawelski beklagt zudem, dass die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in der zu Ende gehenden Legislaturperiode weder die Selbstverwaltung gestärkt noch die Sozialwahl reformiert hätte. Überdies appelliert Pawelski an alle Sozialversicherungsträger, sich diesen Urwahlen vollumfänglich anzuschließen, denn tatsächlich lassen nur zehn Renten- und Krankenversicherungsträger ihre Vertreter für die Selbstverwaltung wählen – die anderen bestimmen ihre Vertreter per sogenannter Friedenswahl ohne Wahlhandlung. So kommen von den 3400 Vertretern lediglich 169 durch eine echte Wahl in ihr Ehrenamt.

Wahlverfahren in der Kritik

Möglich ist das, weil die Kandidaten nicht direkt, sondern über Listen gewählt werden. Etliche Versicherungsträger stellen keine eigenen Listen auf, sondern verständigen sich auf eine gemeinsame, die in der Folge automatisch zum Zuge kommt. Dieses Verfahren sieht der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker kritisch, bezeichnet die Wahl sogar als teilweise undemokratisch: „Viele Krankenversicherungen verwehren ihren Mitgliedern die Mitbestimmung“, begründet der Sozialpolitiker seine Ansicht. Dennoch rät die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach, die Sozialwahl als Chance aufzufassen, sich einzumischen, mitzureden und mitzugestalten: „Eine hohe Wahlbeteiligung wäre auch ein positives Signal für unseren Sozialstaat und für unsere Demokratie“, meint Roßbach.

Pawelski zufolge ließe sich die Wahlbeteiligung auch erhöhen, wenn die Stimmabgabe künftig nicht mehr nur per Brief, sondern auch online erfolgen könnte. Obzwar im Koalitionsvertrag vereinbart und von Sozialexperten der CDU und SPD unterstützt, wurde die Online-Wahl aber nicht im Gesetz festgeschrieben. Daran schuld sei die CSU, sagt der stellvertretende Bundeswahlbeauftragte Klaus Wiesehügel (SPD). „Wir hatten eine Krankenkasse gewonnen, die zumindest bereit war, einen Probelauf zu machen, um zu sehen, ob eine höhere Wahlbeteiligung dabei herauskommt.“ Doch der Bundestag habe sich nicht dazu durchringen können.

Keine Alternative zur Sozialwahl

Bei aller Kritik im Detail gibt es für Wiesehügel aber keine Alternative zur Sozialwahl: „Hier geht es um Milliarden-Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber“, erklärt der frühere Gewerkschaftsvorsitzende. „Sollen sich die Abgeordneten im Bundestag demnächst darüber streiten, wie groß das Reha-Budget ist? Dies hielte ich für abenteuerlich, denn die müssen aus Koalitionszwang oftmals auf die richtigen Entscheidungen verzichten“, sagt Wiesehügel. Die Versichertenvertreter würden jedenfalls sachorientiert entscheiden, nicht parteipolitisch.

In der Tat legt der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für das Renten- und Krankenversicherungssystem fest – ausgefüllt wird dieser Rahmen aber durch die Selbstverwaltung. So befinden die Versicherungsvertreter über oft milliardenschwere Haushalte, die Gestaltung neuer Leistungen, über Zusatzbeiträge oder über Fusionen. Wird beispielsweise den Krankenkassen der überwiegende Teil der Leistungen vorgeschrieben, so kann die Vertreterversammlung darüber hinaus zusätzliche Leistungen beschließen. Überdies werden die Versicherungsträger bei politischen Entscheidungen wie Sozialreformen einbezogen. Allerdings ist deren Einfluss begrenzt: In den Parlamenten haben die Vertreter von Rentenversicherten, Rentnern und Krankenversicherungsmitgliedern auf der einen und die Vertreter der Arbeitgeber auf der anderen Seite in der Regel Sitz und Stimme in gleichem Verhältnis. Entsprechend erfolglos blieb etwa das Klagen der Rentenversicherung, dass zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben wie der Ost-West-Rentenangleichung bis 2025 oder der Mütterrente nicht die Staats-, sondern die Rentenkasse mit Milliardensummen herhalten müsse.

Derzeit streiten sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite um das mittel- und langfristige Rentenniveau. Demgemäß bestimmen die Zukunftsthemen Gesundheit und Rente in besonderem Maße die inhaltlichen Programmpunkte der zur Wahl stehenden Listen und Kandidaten. Einen Überblick gibt die Website sozialwahl.de.

Olaf Konstantin Krueger

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