Oberaudorf — Der Bau- und Straßenausschuss der Gemeinde Oberaudorf hat dem Landratsamt Rosenheim die temporäre Nutzung einer Beherbergungsstätte als Flüchtlingsunterkunft verweigert. Die einstimmige Verweigerung der Nutzungsänderung ist zwar rechtlich nicht durchsetzbar, soll aber dem Landratsamt Gelegenheit geben, „in einen notwendigen Dialog mit der Bevölkerung und allen voran den direkten Anwohnern einzutreten“. In der Sitzung vom 20. Mai erläuterte der Erste Bürgermeister Dr. Matthias Bernhardt (Freie Wählerschaft Oberaudorf), wie die Gemeinde und er erst vor drei Wochen von der Anmietung des Gebäudes in der Sudelfeldstraße durch das Landratsamt Kenntnis erhielten. Danach vergingen zwei Wochen, ehe ihm Landrat Otto Lederer (CSU) den Sachstand persönlich erläuterte und dabei der Gemeinde eine Mitsprache zugestanden, wen Oberaudorf aufnehmen werde. In einer fünfminütigen Sitzungspause begrüßten Anwohner das Vorgehen des Bürgermeisters. Gemeinderat Michael Mermigkas (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) versicherte aufgrund seiner Arbeit in der Flüchtlingshilfe, die bisher betreuten Migranten seien „in Brot und Arbeit gekommen„.
Im Freistaat Bayern ist das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (StMI) für die übergeordnete Steuerung der Asylsuchenden zuständig. Den Regierungen der jeweiligen Regierungsbezirke obliegt die Verteilung auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind wiederum dafür verantwortlich, die ihnen zugewiesenen Personen in dezentralen Unterkünften wie Wohnungen oder Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Im Landkreis Rosenheim steht das Landratsamt allerdings im Zusammenhang mit der Unterbringung von Migranten in der Kritik ob seines Vorgehens in den Gemeinden Rott a.Inn, Feldkirchen-Westerham, Stephanskirchen und Kolbermoor.
In Rott a.Inn gibt es erhebliche Proteste gegen die geplante Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 500 Migranten in einer ehemaligen Industriehalle. Die Bürgerinitiative „Rott rottiert“ und die Gemeinde selbst kritisieren die schiere Größe der Unterkunft im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Ortes (ca. 4.000 Bürger). Landrat Otto Lederer war bei Bürgerversammlungen mit deutlichem Widerstand konfrontiert. In Feldkirchen-Westerham hat die Gemeinde Klage gegen eine vom Landratsamt erteilte Baugenehmigung für eine Flüchtlingsunterkunft eingereicht. Die Kritik richtet sich unter anderem gegen die geplante Größe der Unterkunft für bis zu 160 Personen und die lange Nutzungsdauer von elf Jahren, die als Einschränkung der kommunalen Planungshoheit gesehen wird. Die Gemeinde favorisiert kleinere Einheiten. In Kolbermoor wurde ein Bauantrag für eine Anschlussunterkunft für 212 Personen vom Bauausschuss einstimmig abgelehnt. Bürgermeister und Lokalpolitiker äußerten scharfe Kritik an den Plänen und bezeichneten sie als „menschenunwürdig“ und vergleichbar mit einer „Gefängnisbaracke“, da sie gesunde Wohnverhältnisse und ausreichend Aufenthaltsflächen vermissen ließen. Die Gemeinde Stephanskirchen hat ebenfalls Klage gegen das Landratsamt eingereicht, nachdem eine Baugenehmigung für eine Flüchtlingsunterkunft im Ortsteil Murnau erteilt wurde. Stephanskirchen ist zwar grundsätzlich zur Aufnahme bereit, kritisiert aber den geplanten Standort im Gewerbegebiet als ungeeignet, da er weit ab von wichtigen Einrichtungen wie Lebensmittelgeschäften und sozialen Anlaufstellen liegt.
Oberaudorf klärt eigeninitiativ Sachstand
Den Tagesordnungspunkt „Bauantrag zur temporären Nutzungsänderung eines Hotels in eine Flüchtlingsunterkunft, Sudelfeldstr. 12, Fl.Nr 321/15, Gemarkung Oberaudorf“ bezeichnete der Ausschussvorsitzende und Erste Bürgermeister Dr. Matthias Bernhardt als den „interessantesten“ der Sitzung des Bau- und Straßenausschusses vom 20. Mai. Von den neun TOP nahm dieser mit knapp vierzig Minuten denn auch über die Hälfte der öffentlichen Sitzungszeit in Anspruch.
Eingangs schilderte Bernhardt den Hergang. So habe die Gemeinde Oberaudorf den Bauantrag des Landratsamtes Rosenheim Ende April ohne Vorinformation erhalten und dadurch erstmals „von diesem Vorgang erfahren“. Bernhardt habe daraufhin um einen Gesprächstermin mit Landrat Lederer gebeten, um den Sachstand zu klären. Das Gespräch habe allerdings erst vier Tage vor der Ausschusssitzung stattgefunden, was mit Blick auf das berechtigte Informationsinteresse der Bevölkerung „ganz schön unglücklich ist“. Der Rathauschef habe dabei „in Erfahrung gebracht“, dass das Landratsamt mit dem Eigentümer der bisherigen Beherbergungsstätte in der Sudelfeldstraße – Baujahr 1958 und rund ein Kilometer von der Klinik Bad Trißl entfernt – bereits einen Mietvertrag auf fünf Jahre abgeschlossen habe.
Die Informationspolitik ihm gegenüber erklärte sich Bernhardt mit der schwierigen Lage des Landratsamtes, im Landkreis überhaupt Mietverträge für die Unterbringung von Migranten abzuschließen. Daher informierte das Landratsamt eine betroffene Kommune erst dann, wenn ein Mietvertrag zustande gekommen sei. Im vorliegenden Fall habe das Landratsamt „auch noch versäumt“, Gemeinde und Bürgermeister zeitig zu informieren. Bernhardt habe daraufhin darum gebeten, dass die Gemeinde mit auswählen könne, „wer denn da kommt“: Gewünscht wären eher Familienverbände – aufgrund der angespannten Situation im Kindergarten idealerweise mit Kindern, die schon aus der Grundschulpflicht heraus sind. Es sollten Menschen „dezidiert ausgesucht werden“, die bereits in den bisherigen Sammelunterkünften „durchweg positiv aufgefallen sind“. Sie erhielten die neue Unterkunft „quasi als Belohnung“ an einem „doch schönen Standort“. Dies soll Bernhardt zugesagt worden sein.
Ausschussdiskussion und Abstimmung
Die Ausschussmitglieder zeigten sich darüber im Klaren, dass Oberaudorf derzeit mit bis zu 70 Geflüchteten „Unterbeleger“ sei und erst mit weiteren rund 40 Migranten auf den Landkreisschnitt komme. Dazu böte die Unterkunft 17 Betreuungsräume mit 34 Betten. Die Migranten würden auf drei Geschoße verteilt – Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Die baulichen Maßnahmen erfolgten nur gemäß Brandschutzkonzept, beispielsweise würden Türen ertüchtigt oder erneuert. Nach Vorgabe des Eigentümers sollen nach dem Ende des auf fünf Jahre angelegten Mietverhältnisses mit dem Landratsamt Modernisierungen vorgenommen werden, um die Nutzung als Beherbergungsstätte wieder aufzunehmen.
In einer fünfminütigen Sitzungspause begrüßten Anwohner das Vorgehen des Bürgermeisters, die Einbeziehung der Bevölkerung und die Aussprache über Befürchtungen. Gemeinderat Michael Mermigkas (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) zerstreute dabei Bedenken. Er erklärte aus seiner langjährigen Arbeit in der Flüchtlingshilfe, diese diene sowohl der Unterstützung der ankommenden Menschen als auch der Bewahrung des Friedens im Dorf. 95 Prozent der Migranten seien „reizende Menschen“ und „viele, viele Menschen sind in Brot und Arbeit gekommen, sind eine wichtige Stütze der Gesellschaft geworden“. Bernhardt ergänzte, er erwarte von jedem, der komme, „dass er sich an unseren Kulturrahmen, wie er hier gelebt wird, anpasst“.
Zunächst jedoch bedürfe es einer Nutzungsänderung. Und diese verweigerten die Ausschussmitglieder einstimmig. Der Beschluss diene dem Zweck, „dem Landratsamt die Möglichkeit einzuräumen, in einen notwendigen Dialog mit der Bevölkerung und allen voran den direkten Anwohnern einzutreten“. Dazu legten die Gemeinderäte dem Landratsamt nahe, die entstehende Zeitspanne zu nutzen, eine Informationsveranstaltung vor Ort durchzuführen.
Ihre Meinung ist uns wichtig! Leserbriefe bitte an redaktion@blick-punkt.com oder über unser Kontaktformular.
Leserinnen und Leser dieses Beitrags interessierten sich auch für diese blick-Artikel:
• Wankende Wirtschaft – wachsende Besorgnis: Steigende Kosten belasten die Bürger (01.01.2025).
• Arthur Sattler: Unternehmer – Fußballer – Familienmensch. „Ich bin total glücklich“ (04.12.2024).
• Mettenheim im Blick: Reiche Geschichte – reges Vereinsleben (01.10.2024).
• Generationenwechsel bei der Faschingsgilde Prutting: Neuer Vorstand will „Gilde in eine großartige Zukunft führen“ (18.04.2024).
• Restaurant Mythos glänzt mit neuem Konzept: „Oberste Maxime ist die Zufriedenheit der Gäste“ – Werbung – (21.02.2024).
• Massive Preissteigerung beim E-Carsharing im Landkreis Rosenheim – Quaas: „Noch immer ein konkurrenzloses Angebot“ (12.09.2023).