Bundesrat will Geräuschbelästigung drastisch verringern: Biker protestieren gegen Fahrverbote
Freizeit, Sport, Freiheit: Die Bedeutung des Motorradfahrens reicht weit über die der Mobilität hinaus. Foto: Gabriele Seiler
Prosepkt Box

Bundesrat will Geräuschbelästigung drastisch verringern: Biker protestieren gegen Fahrverbote

München – Biker-Protest in München: Rund 10.000 Motorradfahrer demonstrieren mit einem Korso auf dem Mittleren Ring. Trotz Demonstrationsverbots zeigt die motorisierte Zweiradgemeinde friedlich ihre Ablehnung der Entschließung des Bundesrates „zur wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm“. Protestiert wird auch in anderen Großstädten. Denn geht es nach der Länderkammer, sollen für Biker überall zeitlich beschränkte Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen gelten können. Und die Entschließung vom 15. Mai sieht noch mehr vor: etwa „den Umstieg auf nachhaltige und lärmarme Mobilität in Form von lärmarmen Motorrädern mit alternativen Antriebstechniken wie den Elektroantrieb“. Dagegen wächst der Widerstand. So wendet sich die Online-Petition „Keine Fahrverbote für Motorräder an Sonn- und Feiertagen“ gegen Verallgemeinerung und Einseitigkeit. Rund 200.000 Unterstützer hat sie. Nun begehren auch prominiente bayerische Landes- und Bundespolitiker auf.

Erstes Juliwochenende in Hamburg, Schwerin, Düsseldorf, Wiesbaden, Dresden, Stuttgart und München: Jeweils bis zu zehntausend Biker machen ihrem Unmut mit Motorradkorsos Luft. Anlass ist eine Entschließung des Bundesrates mitten in der Corona-Krise. Dieser will den Lärm von Motorrädern unter anderem durch „Geschwindigkeitsbeschränkungen und zeitlich beschränkte Verkehrsverbote an Sonn- und Feiertagen“ verringern. Motorräder mit alternativen Antriebstechniken wie beispielsweise Elektroantrieb sollen von möglichen Verkehrsverboten ausgenommen werden. Die Bundesratsinitiative sieht zudem härtere Strafen für das Tuning von Motorrädern vor, wenn die Folge eine erhebliche Lärmsteigerung ist. Polizisten sollen Fahrzeuge bei gravierenden Lärmüberschreitungen sofort sicherstellen oder an Ort und Stelle beschlagnahmen können.

Haupttreiber der Initiative sind das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg und das schwarz-gelbe Nordrhein-Westfalen. Dagegen hat bereits Anfang Juli eine dreiköpfige Delegation der Initiative „Biker for Freedom (BifF)“ eine Petition mit knapp 191.000 Unterschriften vorgelegt. Adressat: Winfried Hermann, Baden-Württembergs Minister für Verkehr im Kabinett Kretschmann II und selbst Besitzer eines Motorradführerscheins. Tenor: Die vorhandenen Gesetze und Regeln seien ausreichend, getunt würden auch Autos, Einzelfälle sollten nicht verallgemeinert werden. Jetzt demonstrieren die Biker zusätzlich.

Entschließung des Bundesrates

Konkret formuliert der Bundesrat in seiner zehn Punkte umfassenden Entschließung „zur wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm“ die Absicht, die Interessen von Anwohnern einerseits und von Motorradfahrern andererseits „in einen fairen Ausgleich zu bringen“: Für viele Anwohner bedeute das Freizeitvergnügen der Motorradfahrer eine Lärmbelästigung, wenn diese die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten oder mit „extralaut getunten Motorrädern“ unterwegs seien. Daher müssten der Lärm vermindert und die Verkehrssicherheit erhöht werden.

Der Bundesrat bittet erstens die Bundesregierung darum, sich bei der EU-Kommission für strengere Lärmemissionswerte einzusetzen. Dies soll durch schärfere EU-Grenzwerte bei der Genehmigung und Zulassung neuer Motorräder erfolgen. Die Länderkammer schlägt hierbei eine Begrenzung der Geräuschemissionen in allen Fahrzuständen (Real Driving Sound Emissions) auf einen Grenzwert von maximal 80 dB(A) vor. Dieser sei von allen Neufahrzeugen über alle Betriebszustände hinweg einzuhalten. Zweitens sollen die Strafen bei Manipulationen am Auspuff, Luftfilter sowie bei sonstigen Eingriffen, die eine erhebliche Steigerung der Lärmemissionen zur Folge haben, deutlich verschärft werden. Dazu soll die Bundesregierung „ein rechtlich sicheres Instrument“ entwickeln, das den Polizeibehörden der Länder bei gravierenden Überschreitungen der Lärmemissionen die sofortige Sicherstellung oder Beschlagnahme des Fahrzeugs ermöglicht.

Die Bundesregierung wird drittens darum gebeten, Motorradfahrer via Kampagne für eine angemessene Fahrweise zu sensibilisieren. Viertens wird sie dazu aufgefordert, Motorsteuerungen zu verbieten, die individuell vom Motorradfahrer einstellbare „Soundkulissen“ ermöglichen und störende, belästigende Geräusche erzeugen können. „Sound-Design“ sei vielmehr zur Minderung der Lärmemissionen zu nutzen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung fünftens um Unterstützung für den Umstieg auf nachhaltige und lärmarme Mobilität mittels alternativer Antriebstechniken wie den Elektroantrieb. Außerdem sollen sechstens wirksame Messverfahren eingesetzt werden, um die rechtlichen, technischen und personellen Kontrollmöglichkeiten bei offensichtlich überlauten Motorrädern auszuweiten.

Der Bundesrat sieht siebtens „dringenden Handlungsbedarf“, aus Gründen des Lärmschutzes für besondere Konfliktfälle Geschwindigkeitsbeschränkungen und zeitlich beschränkte Verkehrsverbote an Sonn- und Feiertagen zu ermöglichen. Hierfür soll die Bundesregierung die einschlägigen Regelungen anpassen. Motorräder mit alternativen Antriebstechniken sollten hingegen von möglichen Verkehrsverboten ausgenommen werden. Achtens wird die Bundesregierung aufgefordert, eine Lösung zu finden, damit „Raser“ oder „Belästiger“ keiner Strafe entgehen könnten: Motorradfahrer könnten bislang wegen der Helmpflicht und aufgrund fehlenden Frontkennzeichens nicht identifiziert werden.

Neuntens bittet der Bundesrat die Bundesregierung um eine Regelung zur unmittelbaren Haftung, bei der das Schuldprinzip nicht zur Anwendung kommt (Halterhaftung). Und zehntens wird die Bundesregierung aufgefordert, Fahrtenbücher verpflichtend einzuführen: „Ein Fahrtenbuch dient der Sensibilisierung und Datengewinnung, um bei mehrfachen Verstößen von einzelnen Motorradfahrern reagieren zu können.“

Befürworter und Gegner

Die Bundesregierung muss entscheiden, ob und wann sie die Bundesratsinitiative umsetzt. Zustimmung kommt indes von geplagten Anwohnern und Umweltverbänden. So beklagt etwa die Online-Petition „Fahrverbot für Motorräder an Wochenenden und Feiertagen“ auf openpetition.de Lautstärke und Gestank. Die Petition hat über 100 Befürworter. Der gemeinnützige Umweltverband „VCD Verkehrsclub Deutschland e. V.“ kritisiert sogar die Biker-Proteste als Demonstration für Verkehrslärm.

Demgegenüber sehen sich die Biker durch die Entschließung diskriminiert: Für die Verstöße von wenigen würden alle Motorradfahrer bestraft, formuliert die Online-Petition „Keine Fahrverbote für Motorräder an Sonn- und Feiertagen“ auf openpetition.de. Die Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer sei gefährdet. „Wenn am Bike alles technisch und StVZO konform ist, die Versicherung und Kraftfahrzeugsteuern bezahlt sind, sollte es dem Fahrer freistehen, fahren zu dürfen, wann und wo er möchte“, erklärt Petent Heiko Schmidt. Ein Fahrverbot betreffe zudem Fahrschulen, Händler, Werkstätten, Campingplätze, Imbissbuden, Gaststätten und Hotels, vernichte Arbeitsplätze. Überdies nutzten viele ihr Motorrad als Hauptbeförderungsmittel.

Unterstützung kommt nun aus der Bayerischen Staatsregierung: Verständnis äußert etwa Dr. Florian Herrmann (CSU), Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und bayerischer Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien: Die Biker würden mit ihren Protesten „bei uns sozusagen in Bayern bei der Staatsregierung offene Türen einfahren“. Herrmann kündigt indirekt den Widerstand der CSU an – sowohl durch die im Bundestag vertretenen Abgeordneten, als auch vom Parteivorsitzenden Dr. Markus Söder als Mitglied des Koalitionsausschusses.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), selbst Motorradfahrer, flankiert: „Alle Motorradfahrer über einen Kamm zu scheren, ist überzogen. Das Fehlverhalten Einzelner darf nicht zulasten aller Motorradfahrer gehen.“ Statt pauschaler Verbote sei es viel wirkungsvoller, Lärmrüpel und Krawallmacher bei Kontrollen gezielt aus dem Verkehr zu ziehen. Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur im Kabinett Merkel IV, wendet sich ebenfalls gegen die Verschärfungen, will die Empfehlungen der Bundesländer nicht umsetzen: „Die Biker zeigen bei den Protesten ihre Haltung gegen Verschärfungen und Verbote. Das ist auch meine Haltung“, sagt Scheuer.

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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