München/Mühldorf a.Inn/Rosenheim — Der diesjährige Start in die Badesaison wird flankiert vom Romantik-Fantasy-Musical-Film „Arielle, die Meerjungfrau“. In deutlicher Abwandlung des Kunstmärchens des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen von 1837, in welchem sich die Meerjungfrau am Ende in Schaum auflöst und in einen Luftgeist verwandelt, zeigt schon der Zeichentrickfilm der Walt-Disney-Studios von 1989 einen Entscheidungskampf und ein klassisches Happy End, in dem die Meerjungfrau und der Prinz zusammenkommen. Durch die woke Realverfilmung erhält das kräfteraubende „Mermaiding“, bei dem man im Wasser mit einer „Meerjungfrauenflosse“ wie „Arielle“ in wellenförmigen Bewegungen schwimmt, einen Aufmerksamkeitsschub und entsprechende Schwimmkurse bekommen Zulauf. Zulauf erhalten bei steigenden Temperaturen und Sonnenschein auch Freibäder und Badeseen. Dabei sehen Rettungsdienste die teils naive Leichtfertigkeit der Ausflügler mit Sorge. Bei aller Fantasie und Unbeschwertheit mahnen die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft und die Wasserwacht des Bayerischen Roten Kreuzes unisono zu Vorsicht und Rücksicht. Grund ist die steigende Zahl an Rettungseinsätzen und Badetoten.
Die Zahl der Badeunfälle steigt wieder. Einige Beispiele aus den letzten vier Wochen:
28. April, Hallenbad von Haibach, Landkreis Aschaffenburg. Ein Fünfjähriger gerät bei einem Schwimmkurs mit dem Kopf unter Wasser. Augenzeugen retten das Kind aus dem Becken, alarmieren den Notarzt. Nach der Erstbehandlung wird der Bub ins Krankenhaus gebracht. Dort verstirbt er. Die Polizei ermittelt, ob Aufsichtspflichten verletzt worden sind.
17. Mai, Frei- und Hallenbad Kleinfeldchen, Wiesbaden. Ein 14-Jähriger verunfallt beim Schwimmunterricht. Der Siebtklässler wird sofort von Lehrkräften reanimiert und ins Krankenhaus gebracht. Dort liegt er tagelang im Koma, bevor er verstirbt. Der Junge war Mitglied in einem Schwimmverein, galt als guter Schwimmer, soll jedoch unter einer schweren Krankheit gelitten haben. Die Polizei ermittelt, ob die begleitenden Lehrkräfte ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.
27. Mai, Freizeitsee Bebra-Breitenbach, Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Mehrere Jugendliche sind am Nachmittag auf dem Breitenbacher See mit einem Boot unterwegs. Ein 13-Jähriger und eine 15-Jährige gehen ins Wasser, dann unter. Die anderen Jugendlichen versuchen erfolglos, sie zu retten, holen dann Hilfe. Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und Feuerwehr suchen stundenlang nach den beiden. Ein Polizeihubschrauber wird eingesetzt. Als sie gefunden werden, können die Helfer trotz direkt eingeleiteter medizinischer Maßnahmen nur noch deren Tod feststellen. „Es war ein Badeunfall, da sind wir uns ganz sicher“, erklärt ein Polizeisprecher am Pfingstsonntag. Die beiden konnten schwimmen. Dass sie in Not gerieten, „dürfte auch an den niedrigen Wassertemperaturen gelegen haben“.
29. Mai, Unterschleißheim, Landkreis München. Ein 23-Jähriger geht in einem See circa 25 Meter vom Ufer entfernt unter. Sofort benachrichtigt, nehmen Einsatzkräfte der DLRG, der Wasserwacht, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes die Suche in- und außerhalb des Wassers auf. Wieder ist ein Hubschrauber im Einsatz. Die DLRG lokalisiert den Vermissten mit dem Hand-Sonar-Gerät „Aqua-Eye“ unter Wasser. Nach erfolgloser Reanimation stellt der Notarzt den Tod des Mannes fest.
Zunahme der Todesfälle durch Ertrinken
Rettungsdienste mahnen zu Beginn der Badesaison 2023 eindringlich zu Vorsicht und Rücksicht. Einer der Gründe: Die DLRG hat für 2022 eine Zunahme der Todesfälle durch Ertrinken festgestellt. Ihrer Statistik zufolge sind im vergangenen Jahr in Deutschland mindestens 355 Menschen ertrunken, 56 mehr als im Jahr 2021, ein Plus von 19 Prozent. DLRG-Präsidentin Ute Vogt (SPD) erklärt den Anstieg mit der Aufhebung der behördlich angeordneten restriktiven Corona-Maßnahmen: „Während des langen warmen Sommers ohne nennenswerte Corona-bedingte Einschränkungen sind die Menschen wieder mehr in zumeist unbewachten Seen und Flüssen schwimmen gegangen. Damit stieg auch das Risiko für Unfälle“, konstatiert Vogt.
Insgesamt 308 der erfassten tödlichen Unglücke (rund 87 Prozent) ereigneten sich 2022 in Binnengewässern: Allein 147 Personen (2021: 120) ertranken in Seen, 105 (95) in Flüssen, 15 (acht) in Bächen, 22 (elf) in Teichen und 19 (16) in Kanälen. Selbst in Schwimmbädern stieg die Zahl der tödlichen Unglücksfälle (von sieben auf 13). Knapp zwei Drittel der Todesfälle im Wasser (65 Prozent) verzeichnete die DLRG allein in der Badesaison von Mai bis Ende August: Letztes Jahr ertranken im Vergleich mit dem Vorjahr deutlich mehr Menschen im Mai (+19) und August (+33). Darum appelliert Vogt, in dieser Badesaison weder in unbewachten Gewässern zu baden noch leichtfertig zu handeln.
Die Wasserwacht des Bayerischen Rotes Kreuzes ruft zudem zum Respekt vor dem Element Wasser auf, das nie zu unterschätzen sei – ob am See, im Freibad oder an Flüssen: „Wir warnen erneut und mit Nachdruck davor, mit zu viel Sorglosigkeit ins Wasser zu gehen“, appelliert der Landesvorsitzende der Wasserwacht Bayern, Thomas Huber, MdL (CSU), aus Grafing bei München. „Jeder Badeunfall ist einer zu viel und muss unbedingt vermieden werden.“ Gefahren am und im Wasser würden nach wie vor zu oft unterschätzt – die Folgen seien oft tragisch. Die Wasserwacht hat digitale Schaubilder, Flyer und Broschüren mit Verhaltensregeln erstellt, die online abgerufen werden können unter wasserwacht.bayern/baderegeln.
Rücksicht auf Ökosysteme
Besondere Verhaltensregeln gelten indessen beim Baden in Naturschutzgebieten. Eiszeitseen wie Langbürgnersee, Hartsee und Pellhamer See im Landkreis Rosenheim sind Lebensraum für zahlreiche seltene und geschützte Pflanzen und Tiere. Sie dürfen nur in freigegebenen Bereichen wie den offiziellen Badeplätzen betreten werden. Die übrigen Uferbereiche sind wegen ihrer hohen naturschutzfachlichen Bedeutung zu meiden, erklärt Patrick Guderitz, Gebietsbetreuer der Eggstätt Hemhofer Seenplatte und Seeoner Seen. „Die Vegetation dort bietet vielen Tieren Bruthabitate, Nahrung und gute Versteckmöglichkeiten. Zudem sind viele Arten geschützt“, veranschaulicht Guderitz und zählt dazu Wasservögel, Kleinsäuger, alle Arten von Insekten sowie seltene Pflanzen. „Manche von ihnen kommen in Bayern fast nur noch hier vor, wie zum Beispiel die Zierliche Moosjungfer, eine vom Aussterben bedrohte Libellenart.“ Guderitz appelliert, laute Musik oder Geräusche zu vermeiden, Hunde anzuleinen sowie beim Schwimmen vorsichtig und umsichtig zu sein, um keine Wasserpflanzen zu schädigen.
Geht es wiederum um das Baden in Inn und Isen, erklärt das Landratsamt Mühldorf a.Inn, bei den letzten Beprobungen zwar keine Leit- und Grenzwertüberschreitungen festgestellt zu haben, rät jedoch „generell vom Baden in diesen Flüssen ab“. Der Kreisverband Mühldorf e. V. der DLRG informiert online unter muehldorf.dlrg.de über wichtige Baderegeln.
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