München — In der Bayerischen Staatskanzlei könnten sich dieser Tage die Hüte stapeln. Bildlich gesprochen. Anlass ist ein „intelligentes Konzept“ der Bayerischen Staatsregierung. Diese will die Corona-Maßnahmen nach den Osterferien probeweise in je einem ausgewählten Landkreis oder in einer kreisfreien Stadt der sieben Regierungsbezirke zurückfahren, in Oberbayern in zwei. Voraussetzung: eine 7-Tage-Inzidenz von mehr als 100 und weniger als 150 pro 100.000 Einwohner sowie ein Test- und Impfmanagement. Allein aus dem Regierungsbezirk Oberbayern haben die Landkreise Mühldorf am Inn und Traunstein sowie die Landeshauptstadt München und die kreisfreie Stadt Rosenheim umgehend ihre Hüte in den Ring geworfen. Andere könnten trotz dritter Welle folgen. Unklar ist, wer am Ende das Handtuch wirft.
Der Bayerische Ministerrat hat auf seiner Kabinettssitzung am 23. März beschlossen, die 12. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) bis einschließlich 18. April zu verlängern und zu erweitern. Der „Öffnungsmatrix“ zufolge sollen nach Ostern und abhängig von der 7-Tage-Inzidenz (7-TI) Öffnungsschritte in den Bereichen Außengastronomie, Kultur und Sport erfolgen. Daumenregel: In Landkreisen oder kreisfreien Städten mit einer 7-TI unter 50 können Außengastronomie, Theater, Konzert- und Opernhäuser sowie Kinos öffnen sowie kontaktfreier Sport im Innenbereich und Kontaktsport im Außenbereich stattfinden. In Landkreisen oder kreisfreien Städten mit einer 7-TI zwischen 50 und 100 können Außengastronomie, Theater, Konzert- und Opernhäuser sowie Kinos mit vorheriger Terminbuchung und aktuellem, 24-stündigem COVID-19-Schnell- oder Selbsttest öffnen – außerdem kann kontaktfreier Sport im Innenbereich sowie Kontaktsport im Außenbereich mit aktuellem, 24-stündigem COVID-19-Schnell- oder Selbsttest betrieben werden. Landkreise und kreisfreie Städte mit einer 7-TI über 100 verbleiben im „harten Lockdown“.
Mit einer Ausnahme: Acht bayerische Landkreise oder kreisfreie Städte mit einer 7-TI über 100 können an einem speziellen „Modellprojekt“ teilnehmen, welches ab 12. April Umsetzbarkeit und Wirkung von „Öffnungsschritten“ mittels konsequenten „Testregimes“ untersucht. Neben Außengastronomie, Kultur und Sport sollen so unter strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept für die Dauer von 14 Tagen einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens öffnen dürfen. Damit soll die Frage geklärt werden, welche Auswirkungen eine kontrollierte Öffnung bei höherer Inzidenz hat.
Heimerl: Mühldorf am Inn hat „ausgereifte Teststrategie“
Ministerpräsident Dr. Markus Söder, der jede Öffnungsperspektive mit dem Umfang an Tests und Impfungen verbindet, hat deshalb je einen Hut, sprich: Post, von Max Heimerl, Landrat des Landkreises Mühldorf am Inn, und von Michael Hetzl, Erster Bürgermeister der Kreisstadt Mühldorf am Inn, erhalten. Heimerl begründet seinen Einwurf damit, dass der Landkreis mit einer 7-TI um 100 die Teilnahmebedingungen erfülle. Überdies sei dem „engagierten Contact Tracing-Team“ in den zurückliegenden Monaten in rund 92 Prozent aller Fälle gelungen, das Infektionsfeld zu ermitteln. Der Landkreis biete zudem eine „ausgereifte Teststrategie“: Verschiedene Hilfsorganisationen betrieben eigene Teststationen, elf Apotheken seien mit Testungen beauftragt, das kommunale Testzentrum in der Kreisstadt Mühldorf am Inn werde kurzfristig um eine Schnellstraße erweitert. Heimerl rechnet bei der Teilnahme mit 100.000 Tests wöchentlich, mithin rund 15.000 Tests täglich.
Hetzl wiederum hat sich an Söder gewandt, um das Modell „Tübinger Tagesticket“ in der Kreisstadt Mühldorf am Inn zu erproben. Danach können Gastronomie, Kunst- und Kultureinrichtungen wieder für den Publikumsverkehr öffnen, sofern Kunden, Betriebe und Einrichtungen ein „Tagesticket“ vorlegen. Dieses dient als Nachweis für einen tagesaktuellen negativen Corona-Schnelltest, für einen Impfbeleg oder für eine ärztliche Bescheinigung einer überstandenen Corona-Infektion. Hetzl schlägt einen Testzeitraum von 14 Tagen vor – mit automatisierter Verlängerung, wenn die Inzidenzen nicht gestiegen sind oder ein Infektionsgeschehen nicht nachvollzogen werden kann.
Artmann: Rosenheim will auf die „Überholspur“
Andreas März, Oberbürgermeister von Rosenheim, begrüßt das Modellprojekt „ausdrücklich“. Die kreisfreie Stadt habe seit der Öffnung des Impfzentrums auf der Loretowiese vor drei Monaten rund 41.000 Impfungen durchgeführt. 25.735 Menschen hätten die erste, 15.071 bereits die zweite Impfung erhalten. Bezogen auf die etwa 320.000 Menschen in Stadt und Landkreis Rosenheim seien inzwischen acht Prozent erstgeimpft und 4,7 Prozent zweitgeimpft. März sieht allerdings den von Söder betonten „Frühwarnfaktor Inzidenz“ kritisch, denn er sei „ein Indikator mit letztlich chaotischer, also nicht plan- oder vorhersagbarer Entwicklung“. Solch ein Indikator sei „Gift für die Wirtschaft“, die doch Verlässlichkeit brauche. Der Umstieg von der Inzidenz auf die Impfquote mache hingegen die Immunisierung der Bevölkerung messbar. Die Teilnahme am Modellprojekt führe Rosenheim jedenfalls aus dem Lockdown, postet März auf Instagram.
Zweiter Bürgermeister Daniel Artmann sekundiert auf Instagram, der Ministerrat habe „eine Überholspur“ geschaffen, wodurch Rosenheim „schneller als gedacht“ öffnen könnte. Artmann hofft auf die Wahl Rosenheims als Modellstadt, denn „Kunst, Kultur, Bildungseinrichtungen, der Einzelhandel und viele weitere Bereiche lechzen nach Öffnungen“. Allerdings spricht Söder auch von einer deutlich aggressiveren „neuen Pandemie“, die keineswegs „der dritte Aufguß“ wäre.
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