Streit um den Steinbruch in Nußdorf a.Inn – Funk: „Gretchenfragen noch ungeklärt“
Erörterungstermin im Kurhaus Bad Aibling über die Erweiterung des Steinbruchs am Heuberg. Foto: Olaf Konstantin Krueger
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Streit um den Steinbruch in Nußdorf a.Inn – Funk: „Gretchenfragen noch ungeklärt“

Nußdorf / Bad Aibling / Rosenheim — „Das Bild, das Sie hier als Behörde des Freistaates Bayern abgeben, ist schäbig“, flucht ein er­zürn­ter Ein­wen­der im Gro­ßen Saal des Kurhauses Bad Aibling. Der ver­ba­le Schlag­ab­tausch am ers­ten Tag des „Er­ör­te­rungs­ter­mins“ über die Er­wei­te­rung des Steinbruchs am Heuberg in der Ge­mein­de Nußdorf a.Inn mün­det schnell in Be­fan­gen­heits­an­trä­ge. Sie rich­ten sich ge­gen zwei Sach­be­ar­bei­ter des Land­rats­am­tes Rosenheim – und wer­den ab­ge­wie­sen. Da­nach be­män­geln An­woh­ner, Re­prä­sen­tan­ten der Ge­mein­de und Ver­tre­ter der an­er­kann­ten Na­tur­schutz­ver­ei­ne im­mer wie­der die Ab­we­sen­heit von Sach­ver­stän­di­gen der un­te­ren und hö­he­ren Na­tur­schutz­be­hör­de: Die Ein­wen­dun­gen könn­ten so nur zu Pro­to­koll ge­ge­ben, aber kaum er­ör­tert wer­den. Dass oben­drein ein Schrei­ben der Re­gie­rung von Oberbayern mit der Ab­leh­nung ei­nes neuen Raum­ord­nungs­ver­fah­rens nicht an die Be­trof­fe­nen wei­ter­ge­lei­tet wur­de, läßt das Fass über­lau­fen. Nußdorfs Zwei­te Bür­ger­meis­te­rin Susanne Grandauer (CSU/FWG) wirft dem Land­rats­amt „Fehl­ver­hal­ten“ vor. Der zwei­te Tag ver­läuft zwar ruhi­ger, doch am Ende sind die „Gret­chen­fra­gen“ noch un­ge­klärt, wie Rechts­an­wäl­tin Kerstin Funk für die Ge­mein­de re­sü­miert. Die Er­ör­te­run­gen sol­len En­de No­vem­ber fort­ge­setzt werden.

Nach jahrelanger Auseinandersetzung um die Erweiterung des Steinbruchs am Heuberg lie­gen die Ner­ven blank. Die Ein­wen­der im Kurhaus Bad Aibling be­män­geln am ers­ten Tag des „Er­ör­te­rungs­ter­mins“ zu­nächst die vor­ge­ge­be­ne Sitz­ord­nung im Gro­ßen Saal: Auf der zwei­stu­fi­gen Büh­ne sind oben sie­ben Ver­tre­ter des Land­rats­am­tes plat­ziert, da­vor sechs Ver­tre­ter der Vor­ha­bens­trä­ge­rin, un­ten im Au­di­to­rium sit­zen rund 40 an­we­sen­de Ein­wen­der. We­gen der Corona-Krise gel­ten stren­ge Hygiene- und Ab­stands­re­geln mit 3G (Ge­impf­te, Ge­ne­se­ne, Ge­tes­te­te), selbst am Sitz­platz ist zwin­gend eine FFP2-Maske zu tragen.

Aus Sicht der Einwender ist der Einstieg unstrukturiert. Sachverständige und Gut­ach­ten feh­len. Ver­samm­lungs­lei­ter Quirin Zallinger von der Ab­tei­lung 3 „Bauen und Woh­nen“ des Land­rats­am­tes Rosenheim sieht sich be­mü­ßigt, sei­ne Kom­mu­ni­ka­tion „klar­zu­stel­len“. Nach­dem Be­fan­gen­heits­an­trä­ge ab­ge­wie­sen und Ver­fah­rens­fra­gen be­han­delt sind, be­ginnt das „ju­ris­ti­sche Schat­ten­bo­xen“, so ein An­woh­ner. Doch am zwei­ten Tag ist die Sitz­ord­nung um­ge­stellt – die Vor­ha­ben­trä­ger sit­zen nicht mehr auf der Büh­ne. Der Aus­tausch ist zwar wei­ter hart in der Sa­che, aber ruhi­ger. Gut­ach­ter kom­men zu Wort. Die The­men­be­rei­che Raum­ord­nung, Er­schlie­ßung, Geo­ri­si­ken und Im­mis­sio­nen wer­den er­ör­tert. Für die The­men­be­rei­che Na­tur­schutz, Land­schafts­bild, Nah­er­ho­lung und Was­ser­wirt­schaft wer­den neue Ter­mi­ne anberaumt.

Einwendungen der Einwender – Haltung der Betreiber

Obschon das Verfahren nach „Einwendungsschwerpunkten“ durchgeführt werden soll, ver­lau­fen die Er­ör­te­run­gen teils we­nig trenn­scharf. Ins­be­son­de­re dann, wenn der Na­tur­schutz ge­streift wird. Die Stand­punk­te blei­ben aber klar. Die Ein­wen­der kri­ti­sie­ren un­ter an­de­rem, der Stein­bruch über­schrei­te die Gren­zen der bis­he­ri­gen Ge­neh­mi­gungs­be­schei­de. Ne­ben­be­stim­mun­gen der Ab­bau­ge­neh­mi­gung wür­den miss­ach­tet und nicht ge­ahn­det. Die ge­plan­ten Er­wei­te­rungs­flä­chen lä­gen in öko­lo­gisch emp­find­li­chen Räu­men: im land­schaft­li­chen Vor­be­halts­ge­biet Nr. 05 Hochriesgruppe und Samerberg (Regionalplan 18 Südostoberbayern), im po­ten­ziel­len Flora-Fauna-Habitat­ge­biet, in der höchs­ten Schutz­zone C des Alpenplans als vor­ge­zo­ge­ner Teil­ab­schnitt des Lan­des­ent­wick­lungs­pro­gramms Bayern (LEP), wo mit Aus­nah­me von Alm- und Forst­we­gen Ver­kehrs­vor­ha­ben lan­des­pla­ne­risch un­zu­läs­sig sind. Der Ein­griff be­dro­he sel­te­ne Tier­ar­ten, stö­re das Land­schafts­bild mas­siv. So­wohl das Land­rats­amt Rosenheim als auch die Re­gie­rung von Oberbayern wer­den als vor­ein­ge­nom­men ge­zie­hen. So sei die Ge­neh­mi­gung von Be­triebs­we­gen zur Er­schlie­ßung der obe­ren Teile des Stein­bruchs und de­ren Wid­mung als Forst­stra­ße ein Feh­ler gewesen.

Die Betreiber weisen die Einwendungen zurück, warten mit ver­schie­de­nen na­tur­schutz­fach­li­chen Gut­ach­ten so­wie geo­lo­gisch-geo­tech­ni­schen und ve­ge­ta­tions­kund­li­chen Stel­lung­nah­men auf. Die un­te­ren Ebe­nen des Stein­bruchs seien be­reits bis auf 548 m. ü. NN re­na­tu­riert, eben­falls die Nord­flan­ken der Sicht­schutz­wän­de. Über­dies ha­be die Sub­sti­tu­tion des bis­her ge­nutz­ten, an Mag­ne­sium­oxid (MgO) rei­chen Ge­steins aus dem Stein­bruch Eiberg durch Ge­stein mit nie­dri­gem MgO-Ge­halt aus dem Nußdorfer Bruch ei­nen ge­rin­ge­ren Aus­stoß an Koh­len­di­oxid (CO₂) bei der Klin­ker­er­zeu­gung zur Fol­ge. Dies be­deu­te bei ei­ner ge­plan­ten För­der­men­ge von 200.000 Ton­nen ei­ne Re­du­zie­rung des CO₂-Aus­sto­ßes um 10.000 Ton­nen pro Jahr.

Zwischenfazit

In einem Zwischenfazit resümiert Rechtsanwältin Kerstin Fuchs für die Ge­mein­de Nußdorf a.Inn: „Die we­sent­li­chen Gret­chen­fra­gen des Ver­fah­rens sind für uns noch un­ge­klärt.“ Da­zu ge­hö­re, in­wie­weit über­haupt ei­ne Ge­neh­mi­gung des Ge­steins­ab­baus bis 758 m. ü. NN vor­lie­ge und was mit der Sicht­schutz­wand pas­sie­re, die kei­nen Ab­bau über 758 m. ü. NN zu­las­se. Und Nußdorfs Zwei­te Bür­ger­meis­te­rin Susanne Grandauer er­klärt, nach ei­nem ent­täu­schen­den Start hat der Ab­lauf in­zwi­schen ih­ren Vor­stel­lun­gen vom Ver­fah­ren ent­spro­chen, ob­schon aber­mals Gut­ach­ten nicht recht­zei­tig vor­ge­legt wur­den und Sach­ver­stän­di­ge fehl­ten. Der Be­trei­ber selbst woll­te sich zum lau­fen­den Ver­fah­ren nicht äu­ßern. Die nächs­ten Er­ör­te­rungs­ter­min-Tage sind laut Zallinger: 23., 29. und 30. No­vem­ber sowie 1. Dezember.

Überblick: Sachverhalte

Sachlage. Im Ortsteil Überfilzen der Gemeinde Nußdorf be­treibt das Südbayerische Portland-Zementwerk Gebr. Wiesböck & Co. GmbH (SPZ) seit 1961 ei­nen Stein­bruch an der nord­west­li­chen Heuberg­flan­ke. Für den Ab­bau von Kalk­ge­stein zur Ze­ment­her­stel­lung lie­gen Ge­neh­mi­gungs- und Än­de­rungs­be­schei­de aus den Jah­ren 1961, 1980 und 1994 vor. Die Ge­mein­de Nußdorf a.Inn hat 2017 ein ver­wal­tungs­ge­richt­li­ches Ver­fah­ren des einst­wei­li­gen Rechts­schut­zes auf Ein­stel­lung der Ar­bei­ten im Stein­bruch an­ge­strengt. Nach ei­nem Be­schluss des Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­ho­fes (VGH) vom 28. Mai 2018 sind so­wohl der Ge­steins­ab­bau als auch die vor­be­rei­ten­den Maß­nah­men da­zu ober­halb von 758 m. ü. NN vor­läu­fig still­zu­le­gen, da ei­ne gül­ti­ge Ge­neh­mi­gung da­für frag­lich sei. Darauf­hin hat das SPZ am 8. März 2019 die Er­wei­te­rung der be­ste­hen­den Ab­bau­ge­neh­mi­gung be­an­tragt: Der Ab­bau­be­reich soll ober­halb von 758 m. ü. NN er­wei­tert und die Bruch­soh­le auf 620 m. ü. NN an­ge­ho­ben wer­den. Das ent­spricht ei­ner Er­wei­te­rung um 2,034 Hek­tar. Die­ses Vor­ha­ben be­darf ge­mäß Bun­des-Im­mis­sions­schutz­ge­setz (BImSchG) ei­ner im­mis­sions­schutz­recht­li­chen Än­de­rungs­ge­neh­mi­gung. Zu­stän­di­ge Ge­neh­mi­gungs­be­hör­de ist hier­für das Land­rats­amt Rosenheim.

Auswirkungen. Der Eingriff führt nach Angaben der SPZ zu bau-, anlagen- und be­triebs­be­ding­ten Be­ein­träch­ti­gun­gen, die nach Ab­schluss des Ab­baus en­den wür­den. Be­ein­träch­tigt wür­den vor allem als Le­bens­raum die­nen­de Wald­flä­chen mit Bu­chen­an­teil und das Land­schafts­bild durch weit­hin sicht­ba­re of­fe­ne Roh­bo­den­flä­chen. Der Stein­bruch soll im Ter­ras­sen­ab­bau be­trie­ben werden.

Verfahren. Die SPZ als Vorhabenträgerin hat beantragt, ein förmliches Verfahren gemäß BImSchG mit Öf­fent­lich­keits­be­tei­li­gung so­wie ei­ne Um­welt­ver­träg­lich­keits­prü­fung (UVP) durch­zu­füh­ren. Nach der erst­ma­li­gen Be­kannt­ma­chung des Vor­ha­bens am 26. April 2019 wur­den 722 Ein­wen­dun­gen er­ho­ben. Zwi­schen­zeit­lich reich­te die SPZ un­ter an­de­rem ei­ne spe­ziel­le ar­ten­schutz­recht­li­che Prü­fung (saP) so­wie ei­nen über­ar­bei­te­ten Re­kul­ti­vie­rungs­plan nach. Be­dingt durch ei­ne Un­ter­bre­chung we­gen der Corona-Krise wur­de das öf­fent­li­che Ver­fah­ren am 28. Au­gust 2020 noch­mals be­kannt ge­macht so­wie der An­trag ein­schließ­lich der nach­ge­reich­ten und er­gänz­ten Un­ter­la­gen er­neut aus­ge­legt. Hier­nach stieg die Zahl der Ein­wen­dun­gen auf 1.241, wo­bei die neuer­li­chen Ein­wen­dun­gen größ­ten­teils die be­ste­hen­den er­gänz­ten und vertieften.

Raumordnungsverfahren. Der Rosenheimer Kreistag for­der­te zwar am 13. Ok­to­ber 2021 mit­tels frak­tions­über­grei­fen­de Re­so­lu­tion, die Re­gie­rung von Oberbayern als zu­stän­di­ge hö­he­re Lan­des­pla­nungs­be­hör­de sol­le als Grund­la­ge für das Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren ein neues Raum­ord­nungs­ver­fah­ren (RoV) durch­füh­ren. Re­gie­rungs­prä­si­den­tin Maria Els wies die­ses An­sin­nen je­doch ge­gen­über Landrat Otto Lederer (CSU) zu­rück, da die Voraus­set­zun­gen für ein RoV nicht vor­lä­gen: Die Raum­ver­träg­lich­keit des Stein­bruchs sei ge­klärt, selbst wenn sich die recht­li­chen und öko­lo­gi­schen Rah­men­be­din­gun­gen für die Be­wer­tung des Be­trie­bes und mög­li­cher Er­wei­te­rungs­flä­chen seit der Erst­ge­neh­mi­gung vor 60 Jah­ren ge­än­dert hät­ten. Un­ter­des­sen strebt auch ei­ne Pe­ti­tion an den Baye­ri­schen Land­tag ein neuer­li­ches RoV an.

Erörterungstermin. Der vom Landratsamt Rosenheim anberaumte Erörterungstermin soll da­zu die­nen, die form- und frist­ge­recht er­ho­be­nen Ein­wen­dun­gen ge­gen das Vor­ha­ben zu er­ör­tern. Zur Ein­däm­mung der Ver­brei­tung des neu­ar­ti­gen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) ist die Öf­fent­lich­keit vom Er­ör­te­rungs­ter­min ausgeschlossen.

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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