Mittelschullehrer appelliert an Kultusminister: „Stoppen Sie die Digitalisierung des Grundschulunterrichts!“
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Mittelschullehrer appelliert an Kultusminister: „Stoppen Sie die Digitalisierung des Grundschulunterrichts!“

Fünf Milliarden Euro sollen in den nächsten fünf Jahren in die Digitalisierung der Schulen fließen: Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Merkel IV, ist zuversichtlich, dass der vor zwei Jahren angekündigte „Digitalpakt“ Anfang 2019 startet. Danach gehören zur digitalen Transformation der Schulen breitbandige Anbindung, Schulhausvernetzung, Präsentationstechnik, Endgeräte, Cloud-Struktur und Lehrkräftequalifizierung. Doch es gibt auch Bedenken. So hat sich der Gemeinde- und Kreisrat Reinhard Retzer aus Lohkirchen, Landkreis Mühldorf am Inn, zu Beginn des Schuljahres 2018/2019 an den Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus Bernd Sibler gewandt. Retzer fordert den CSU-Landtagsabgeordneten in einem offenen Brief auf, „die Digitalisierung des Grundschulunterrichts zurückzunehmen“.

Im Schuljahr 2018/2019 besuchen laut Regierung von Oberbayern etwa 3.500 Schülerinnen und Schüler mehr die Grund-, Mittel- und Förderschulen des Regierungsbezirks als im letzten Jahr: An den 719 Grundschulen werden rund 164.200 Schüler unterrichtet, an den 291 Mittelschulen rund 65.700 Schüler, an den 126 Förderschulen rund 23.400 Schüler und an den 387 beruflichen Schulen Oberbayerns rund 118.000 Schüler. Im Durchschnitt umfasse eine Klasse an der Grundschule 21,5 und an der Mittelschule 19,5 Schülerinnen und Schüler. Insgesamt seien zur Unterrichtsversorgung an den Grund- und Mittelschulen 1.681 Lehr-, Fach- und Förderlehrkräfte neu eingestellt worden, davon 758 aus Oberbayern und 743 aus anderen Regierungsbezirken.

Digitale Bildung ist heuer Top-Thema: Die Schulen erstellen Medienkonzepte, planen ergänzende digitale Ausstattungen, erweitern ihre technischen und didaktisch-methodischen Kompetenzen. Unterstützt werden die Lehrkräfte dabei durch medieninformationstechnische Berater, Systembetreuer und zusätzliche Koordinatoren für digitale Bildung.

KMK-Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“

Ende 2016 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) eine Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“ beschlossen. Dabei legte die KMK fest, dass im Zuge der Digitalisierung Lehr- und Lernformen, Lernumgebungen, Bildungsziele sowie infrastrukturelle, rechtliche und personelle Rahmenbedingungen kritisch überprüft und erweitert werden müssten. Da die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrags angemessen auf das Leben in der derzeitigen und künftigen Gesellschaft vorzubereiten seien sowie zur aktiven und verantwortlichen Teilhabe am kulturellen, gesellschaftliche, politischen, beruflichen und wirtschaftlichen Leben befähigt werden sollten, müsse das Lernen mit und über digitale Medien und Werkzeuge bereits in den Schulen der Primarstufe beginnen, also in den Grundschulen. Dazu sollten Lehrkräfte digitale Medien im Fachunterricht professionell und didaktisch sinnvoll nutzen sowie gemäß dem Bildungs- und Erziehungsauftrag inhaltlich reflektieren können.

Die Bundesländer verpflichteten sich darauf, dass Schüler, die zum Schuljahr 2018/2019 in die Grundschule eingeschult werden oder in die Sekundarstufe I eintreten, bis zum Ende der Pflichtschulzeit entsprechende Kompetenzen erwerben. Voraussetzung allen digitalen Lehrens und Lernens sei der KMK zufolge die adäquate technische Grundausstattung der Schulen: Breitband, Schulvernetzung, WLAN (Wireless Local Area Network), Cloud-Strukturen, technischer Support und die Ausstattung der Schüler mit mobilen Endgeräten. Für die Finanzierung kämen die kommunalen Schulträger, die Bundesländer, der Bund und privates Engagement in Betracht.

Kritik an Umsetzung

Mit Schulbeginn wird jedoch Kritik an der Umsetzung des „erweiterten Bildungsauftrags“ laut: „Gerade in den Grundschulen werden Smartboards angeschafft, an die Wand geschraubt, und dann kümmert sich niemand darum, dass die Lehrer den Umgang damit erlernen“, bemängelt beispielsweise Laura Pooth, niedersächsische Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Anstelle Laptops und Tablets als Lehrmittel zuzulassen, müsse darüber gesprochen werden, wie das Lernen mit digitalen Endgeräten ausgestaltet sein kann, so Pooth.

Der Lohkirchener Mittelschullehrer Reinhard Retzer wendet sich gleich ganz gegen die „Digitalisierung des Unterrichts in Grundschulen“. In einem offenen Brief an den Bayerischen Kultusminister Bernd Sibler spricht sich der ÖDP-Politiker „für ein Recht auf analoge Bildung“ aus und appelliert an den CSU-Politiker, der „Smartphonisierung“ des Schullebens Einhalt zu gebieten. Zwar wären Medienkompetenz und sicherer Umgang mit digitalen Systemen wichtige Bildungsinhalte, doch in den unteren Schulklassen sei zunächst das Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen erforderlich. Diese Kulturtechniken würden nicht am Tablet erlernt, so Retzer. Und: „Die Fixierung von Kindern vor einem elektronischen Gerät kann allzu schnell zu einer suchtartigen, ungesunden Entwicklung führen“, gibt der Gemeinde- und Kreisrat zu bedenken. Wer als Erwachsener in der digitalen Welt aktiv mitgestalten und sich behaupten wolle, müsse in der Kindheit alle Möglichkeiten der Gehirnentwicklung erleben und ausleben. Dazu sei etwa physische Bewegung im Raum erforderlich.

„Weichen für eine analoge Kindheit“

Retzer will zudem verhindern, dass das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus überhaupt digitale Grundschulklassenzimmer im rund 730 Einwohner zählenden Lohkirchen fördert: Der Freistaat unterstützt im Rahmen des Masterplans „Bayern Digital II“ kommunale Sachaufwandsträger öffentlicher Schulen sowie Träger staatlich anerkannter und genehmigter Ersatzschulen bei ihrer Aufgabe, die IT-Ausstattung der Schulen zu verbessern. Retzer begründet seinen Vorstoß im Gemeinderat mit dem Schutz von Kleinkindern vor Elektrosmog durch WLAN: Die Gemeinde solle sich als Mitglied im Grundschulverband Oberbergkirchen gegen die Zuschüsse aussprechen. Damit will der Politiker die „Weichen für eine analoge Kindheit“ stellen.

Ob diese Argumentation greift, bleibt abzuwarten. Router senden zwar hochfrequente elektromagnetische Strahlung aus, gesundheitliche Sorgen wegen des WLAN sind laut computerbild.de aber größtenteils unbegründet: Handelsübliche Router unterschritten in der Regel international gültige Grenzwerte, deren Strahlung gelte allgemein als ungefährlich und „sicherer Abstand“ zum Router verringere die Belastung stark. Im Vergleich zu Smartphones sei WLAN-Strahlung sogar deutlich geringer. Im Schlafzimmer sollten kabellose Geräte jedoch vermieden und nachts prinzipiell abgeschaltet werden.

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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